Der Sitzungssaal des Nationalrats im Parlamentsgebäude
© Stefan Olah / Parlamentsdirektion

Zweite Republik

Konsensdemokratie und Großparteien

In der Zweiten Republik (seit 1945) spielen die politischen Parteien eine wichtige Rolle. Bis in die 1980er Jahre dominierten die Sozialdemokratische Partei (SPÖ) und die Volkspartei (ÖVP) als „Großparteien“ die Politik in der Zweiten Republik. Diese Parteien hatte es bereits in der Ersten Republik gegeben. In der Zweiten Republik arbeiten sie – im Gegensatz zur Ersten Republik – zusammen, sie bilden Koalitionen, gestalten gemeinsam die Politik.

Ein Kennzeichen der ersten Jahrzehnte der Zweiten Republik war es, dass von den Parteien versucht wurde, Interessensgegensätze im Einvernehmen und mit Kompromissen zu regeln. Diese Übereinstimmung in der Entscheidungsfindung nennt sich „Konsens“ bzw. „Konkordanz“. Es wurde häufig von einer Konsens- oder Konkordanzdemokratie gesprochen.

Proporzsystem

SPÖ und ÖVP hatten aber auch sehr großen Einfluss auf die Vergabe von Ämtern und wichtigen Funktionen in Politik und Wirtschaft, es galt das so genannte „Proporzsystem“. „Proporz“ bedeutet,  dass die Parteien über die Besetzung von Posten in staatsnahen Bereichen (z.B.: in Industriebetrieben, die dem Staat gehörten, im ORF etc.) bestimmen und sich diese aufteilen. Diese gegenseitige Aufteilung der Macht und der Posten sollte verhindern, dass es zwischen den politischen Lagern wie in der Ersten Republik zu Konflikten kommt. Da allerdings auf diese Weise die Parteizugehörigkeit entschied, wer welchen Posten bekommt, wurde das System immer stärker wegen dem starken Einfluss der Parteien auf die Wirtschaft kritisiert.

Opfermythos

Charakteristisch für den Umgang mit der nichtdemokratischen, nationalsozialistischen Vergangenheit war in der Zweiten Republik der Opfermythos: Österreich präsentierte sich nach 1945 als Opfer des nationalsozialistischen Deutschland.

In Nürnberg und anderswo
„Er hat mir‘s doch befohlen!“
In: Neues Österreich, 20. Juli 1946

Gestützt wurde diese Geschichtsinterpretation durch die „Moskauer Deklaration“ vom 1. November 1943. In dieser steht, dass die Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Österreichs das Ziel der Alliierten ist. Die Alliierten waren die vier Großmächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion, die 1945 Österreich vom Nationalsozialismus befreiten. Österreich wurde in dieser Deklaration als das „erste Opfer der typischen Angriffspolitik Hitlers“ bezeichnet, aber auch für seine Mitbeteiligung am Krieg auf deutscher Seite verantwortlich gemacht. „Aus dieser durchaus ausgewogenen Einschätzung haben die österreichischen Nachkriegsregierungen stets den Opfercharakter hervorgehoben, um auf diese Weise rascher den Staatsvertrag und damit die volle Souveränität zu erlangen, aber auch, um berechtigte Wiedergutmachungsansprüche der NS-Opfer abzuwehren.“ (Wolfgang Neugebauer: Opfer oder Täter. Wien 1994).

Die Durchsetzung der Opfertheorie brachte Österreich 1955 den ersehnten Staatsvertrag und wurde zum Gründungsmythos der Zweiten Republik. Die Nennung der Mitschuld Österreichs am Zweiten Weltkrieg wurde noch am Vorabend der Unterzeichnung aus dem Staatsvertrag gestrichen und geriet damit bald in Vergessenheit. Lange Zeit herrschte eine Doppelmoral: nach außen wurde der österreichische Widerstand als wichtiger Beitrag zur Befreiung betont; innerhalb Österreichs hingegen musste der Widerstand und Antifaschismus um seine Anerkennung „kämpfen“. So verweigerte die Kriegsgeneration auch die schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem dunklen Kapitel ihrer eigenen Geschichte, und nicht selten wurden die Kriegsschäden und -leiden der österreichischen Zivilbevölkerung und das Leiden der Jüdinnen und Juden im Holocaust auf eine Ebene gestellt. Erst seit Ende der 1980er-Jahre bekennt sich das offizielle Österreich zur Mittäter*innenschaft am Nationalsozialismus.

Entwicklungen des späten 20. Jahrhunderts

Das Wahlverhalten vieler Österreicher*innen wurde spätestens in den 1970er Jahren zunehmend flexibler und weitere Parteien gewannen an Einfluss. Es kam zu neuen Regierungskonstellationen. Die politische Landschaft und das Zusammenspiel der einzelnen Parteien wurden komplexer. Damit einher ging die Entwicklung weg von einer Konkordanzdemokratie hin zu einer Konkurrenzdemokratie, in der Entscheidungen nicht mehr durch Kompromisse, sondern auf Basis des Wettbewerbs und Mehrheitsrechten getroffen werden. Neben dem etablierten Parteiensystem bilden sich soziale Bewegungen (z.B.: die Frauenbewegung), die auf neuen, außerparlamentarischen Wegen Einfluss auf die Politik nehmen. Durch den EU-Beitritt in den 1990er Jahren bekommt die Politik in Österreich eine zusätzliche Ebene.

Arbeitsfragen

  • Was kennzeichnet die Politik in der Zweiten Republik?
  • Was ist der „Opfermythos?“

Quellen

alle Links zuletzt aufgerufen am 10.12.2020