Einleitung

In den letzten Jahrzehnten wurde die demokratische Legitimität repräsentativer parlamentarischer Demokratiemodelle sowohl in wissenschaftlichen als auch in gesellschaftlichen Diskussionen zunehmend in Frage gestellt. Während sich diese Skepsis zum einen in sinkenden Wahlbeteiligungen und dem rückläufigen Mobilisierungs- und Identifikationspotential von Parteien ausdrückt, stellen Unterstützer*innen von Modellen direkter oder partizipativer Demokratie explizit in Frage, inwiefern politische Systeme, in denen die zentrale Rolle der Bürger*innen darin besteht, periodisch Vertreter*innen zur Entscheidungsfindung und Gesellschaftsgestaltung zu delegieren, Demokratie im Wortsinn der „Volksherrschaft“ gerecht werden. Dementsprechend scheinen Forderungen nach einer größeren Teilhabe und Mitbestimmung von Bürger*innen immer mehr zum integralen Bestandteil öffentlicher Demokratiedebatten zu werden.

Im Gegensatz zum Modell repräsentativer Demokratie zeichnen sich Theorien direkter und partizipativer Demokratie dadurch aus, dass Bürger*innen eine unmittelbare politische Entscheidungs- bzw. Gestaltungsrolle einnehmen sollen. Theorien direkter Demokratie sehen den Kern der Demokratie in der unveräußerlichen direkten politischen Entscheidungsgewalt der Bürger*innen. Dementsprechend wird zumeist der Ausbau plebiszitärer Instrumente wie bspw. von Volksabstimmungen gefordert (Pelinka 1999). Neben Fragen der praktischen Umsetzbarkeit sehen Kritiker*innen direktdemokratischer Konzeptionen die Gefahr, dass in plebiszitären Mehrheitssystemen die Rechte und Teilnahmechancen von Minderheiten potentiell stark durch Mehrheitsgruppen gefährdet sind (ebd.). Vertreter*innen partizipativer Demokratietheorien verkürzen die Kritik an repräsentativen Politiksystemen nicht auf die mangelnde „Abstimmungsmacht“ der Bürger*innen, sondern sehen die Bürger*innen-Beteiligung in politischen Gestaltungsprozessen als zentralen Wert der Demokratie. Der lateinische Begriff participatio setzt sich aus den Wörtern pars (Teil) und cipere (nehmen) zusammen (De Nève/Olteanu 2013: 13). Demokratie fußt in diesem Sinne auf aktiver bürgerlicher Teilhabe an politischen Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen. Die Vorstellung eines rationalen Austauschs in Öffentlichkeiten, die eine möglichst konsensuale Entscheidungsfindung ermöglichen, ist ebenso zentral für Theoretiker*innen partizipativer Demokratie wie die gesellschaftlichen und individuellen demokratischen Lernprozesse, die politische Partizipationsprozesse ermöglichen (Schmidt 2008: 236f.).

Das politische System Wiens kann als vorrangig repräsentativ parlamentarisch eingeordnet werden. Die Frage nach einer Öffnung und „demokratischen“ Umgestaltung dieses Systems ist auch in Wien zentraler Bestandteil des politischen Diskurses geworden (Hammer/Ritt 2013). Generell ist anzunehmen, dass weite Teile der Wiener Bevölkerung im Vergleich zu früheren Jahrzehnten ein selbstbewussteres und anspruchsvolleres Demokratieverständnis entwickelt haben, das durch einen fünfjährlichen Gang zur Gemeinderats-Wahlkabine nicht saturiert wird. Trotz einer vergleichsweise gefestigten politischen Position kann mit Blick auf sinkende Mitgliederzahlen und dem Erstarken anderer Parteien zudem davon ausgegangen werden, dass die SPÖ-geführte Stadtregierung nicht mehr die enorme politische Integrationskraft und Legitimität vergangener Hochzeiten ausstrahlt. Ein eminentes Problem für die Legitimität des repräsentativen Regierens stellt zudem die steigende Anzahl von Wiener*innen über 16 Jahren ohne österreichische Staatsbürgerschaft dar. Im Jahr 2017 waren, mit steigender Tendenz, bereits 444.611 Wiener*innen über 16 Jahre und somit 28,1% dieser Altersgruppe nicht wahlberechtigt (wiengv.at 2018a). Dieses strukturelle Demokratiedefizit macht demokratiepolitische Neuerungen in Richtung eines inklusiven politischen Systems mit sozialer Integrationskraft für Wien zu einer zentralen Herausforderung.

Die Wiener Landesregierung bekannte sich in ihrem Regierungsübereinkommen 2015 und den Leitbildern zur Stadtentwicklung zum Ausbau demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten und dem Ideal einer städtischen Beteiligungskultur (Häupl/Vassilakou 2015; Magistratsabteilung 18 2014a; Magistratsabteilung 18 2014b). Das Expert*innenwissen der Einwohner*innen soll genutzt, der soziale Zusammenhalt in der Stadt gefestigt und eine bessere Inklusion von Nicht-Staatsbürger*innen gefördert werden. Laut Regierungserklärungen müsse zudem generell das Verhältnis zwischen plebiszitärer und repräsentativer Demokratie überdacht und direktdemokratische Werkzeuge weiterentwickelt werden. So sollte es „künftig weniger ‚Oben-Unten-Denken‘ und dafür mehr Dialog geben“ (Häupl/Vassilakou 2015). Auch in Rahmenstrategien der städtischen Entwicklung wie bspw. der „Smart City Wien“ oder dem Stadtentwicklungsplan „STEP 2025“ wird klar gemacht, dass eine partizipative Stadtentwicklung mit größerer Bürger*innenteilhabe als integraler Bestandteil der erfolgreichen Zukunft Wiens gesehen wird. Das Regierungsideal der governance, des flexiblen Steuerns und Regulierens von „managenden“ Stadtinstitutionen unter enger Miteinbeziehung von Bürger*innen sollte sukzessive implementiert werden (Magistratsabteilung 18 2014a; Magistratsabteilung 18 2014b).

Wien hat innerhalb der letzten Jahrzehnte bereits einige direktdemokratische und partizipative Möglichkeiten für seine Bürger*innen etabliert. Unabhängig von klangvoller governance-Rhetorik bleibt allerdings ein kritischer Bezug zu diesen neuen Beteiligungsformen unabdingbar, um festzustellen, inwiefern neue Entscheidungs- und Beteiligungsplattformen jenseits von Parlamenten Bürger*innen tatsächlich die Chancen zu effektiver Teilhabe bieten. So mahnen kritische Aktivist*innen und Theoretiker*innen, dass der demokratische Partizipationsbegriff durch Aufgriff von staatlicher Seite oftmals Gefahr läuft, verwässert bzw. ausgehöhlt zu werden (vgl. Fischer 2017

Im Folgenden sollen zwei institutionalisierte Formen der städtischen Teilhabe untersucht werden. Zum einen das Petitionswesen der Stadt Wien, das auf einem alten politischen Beteiligungskonzept basiert, aber in seiner aktuellen Institutionalisierungsform erst seit 2013 besteht. Zum anderen die Lokale Agenda 21 Wien, ein innovatives Partizipationsmodell, das in Wien 2018 bereits sein 20-jähriges Jubiläum feierte.