Die Frau als Wählerin – Der Gender-Gap

Wahlplakat der SDAP für die Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung am 16.02.1919
© ÖNB PLA16304219

In der Ersten Republik

Erstmals wählen durften alle Frauen bei den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung vom 16. Februar 1919. Die Wahlbeteiligung der Frauen lag bei 82,10 %, jene der Männer bei 86,97 %. Die Befürchtung der Christlichsozialen, dass die Frauen nicht zur Wahl gehen würden, hatte sich somit nicht bewahrheitet. Gleichfalls als unrichtig hatte sich ihre Vermutung herausgestellt, dass sie stärker die Sozialdemokrat*innen wählen würden. Prozentuell hatten sich die Frauen deutlich stärker für die Christlichsozialen als die Sozialdemokrat*innen ausgesprochen – ein Trend, der auch für die folgenden Wahlen bis 1930 zutreffend sein sollte. Insgesamt stellten die Frauen bei allen Nationalratswahlen in der Ersten Republik die Mehrheit der Wahlbevölkerung.

Wahlplakat der Grünen Alternativen für die Nationalratswahl vom 7. Oktober 1990
© Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung / Sammlung Kunisch

In der Zweiten Republik

In der Zweiten Republik bestimmten die Frauen das Wahlergebnis von 1945 mit über 60 Prozent der zugelassenen Wähler*innen ganz eindeutig. Wie in der Ersten Republik entschieden sie somit in entscheidendem Maß über die politischen Kräfteverhältnisse in der jungen Republik und darüber, welche Entwicklung diese nehmen sollte. Wiederum – wie bereits in der Ersten Republik – hatten sie den „Konservativen“, d.h. der ÖVP, mehrheitlich ihre Stimme gegeben. Und auch bei den folgenden Wahlgängen sollte dies so bleiben. Erst Mitte der 1970er Jahre begann sich dieser Bias zugunsten der SPÖ zu verschieben, wobei dies auch vor dem Hintergrund der in den 1970er Jahren durchgeführten Familien- und Strafrechtsreform zu sehen ist. Anfang der 1980er Jahre schien in Österreich so etwas wie geschlechtsspezifisches Wahlverhalten nicht mehr zu bestehen. Diese „Einmütigkeit“ geriet jedoch ab 1986 deutlich ins Wanken. Maßgeblich dafür waren v.a. der neue rechtspopulistische Kurs der FPÖ unter ihrem neuen Obmann Jörg Haider und das Entstehen der Grünen, später auch des Liberalen Forums (LIF) als neuer Parteien. So votierten bei den Nationalratswahlen 1995 Frauen überdurchschnittlich für die SPÖ, die Grünen und das Liberale Forum und unterdurchschnittlich für die FPÖ.

Die Umworbene

Mit dem Umstand, dass die Frauen 1918 das Wahlrecht erhalten hatten, wurden sie auch zum Ziel der Wahlwerbung der Parteien. Auffallend ist dabei, dass auf den Wahlplakaten der Parteien bis weit in die Gegenwart fast ausschließlich Männer als politische Akteure dargestellt wurden und die Frau auf die Rolle der Mutter und Hausfrau, die zum Wohlergehen der Familie zu agieren hatte, reduziert wurde.

In der Wahlwerbung der Ersten Republik dominierte das Bild der leidenden, sorgenden Mutter die Plakate der Parteien. In der Zweiten Republik wurde die Frau bis in die 1970er Jahre vor allem als glückliche Hausfrau und Mutter präsentiert. In den unmittelbaren Nachkriegswahlkämpfen wurde aber auch stark die trauernde und mahnende Frau, die gegen den Krieg auftritt, affichiert. Ein partnerschaftliches Verhältnis wurde nur selten – und das nur von den „Linksparteien“ SDAP bzw. SPÖ und KPÖ – dargestellt. Ihre Werbestrategien begannen die „etablierten Parteien“ (SPÖ, ÖVP und auch FPÖ) erst dann zu ändern, als die neue Frauenbewegung das tradierte Rollenbild aufzubrechen begann. Die Grünen und das LIF maßen in der Wahlwerbung – und das nicht nur was die Darstellung der Frau auf ihren Plakaten, sondern auch was die aufgegriffenen Themen betrifft – der Geschlechterdemokratie von Anbeginn größere Bedeutung bei.