Allgemeines und gleiches Frauenwahlrecht

1918 – Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts

Der Erste Weltkrieg veränderte die Situation für die Frauen nachhaltig. Aufgrund der kriegsbedingten Abwesenheit der Männer traten viele Frauen ins Berufsleben ein, ihre Arbeitsleistung wurde für die Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft unentbehrlich. Das Ende des Weltkriegs und der Zusammenbruch der k. und k.-Monarchie führten zur Gründung der Republik. In der allgemeinen (politischen und gesellschaftlichen) Umbruchsphase konnte den Frauen das Wahlrecht nicht mehr vorenthalten werden. In Österreich (und auch in Deutschland) erhielten die Frauen 1918 das Wahlrecht. Europaweit gehörte Österreich damit zu jenen Ländern, in denen die Frauen am frühesten das allgemeine und gleiche Wahlrecht bekamen.

Nachdem die Provisorische Nationalversammlung bereits Ende Oktober 1918 die Einschränkungen der Vereins- und Versammlungsfreiheit aufgehoben hatte, verabschiedete sie am 12. November 1918, an jenem Tag, an dem die Republik ausgerufen wurde, das Gesetz über die Staats- und Regierungsform. In Artikel 9 wurden die Grundsätze des Wahlrechts für die zu wählende konstituierende Nationalversammlung festgelegt. Sie sollten „auf der Verhältniswahl und auf dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“ beruhen.

Plakat der Bürgerlich-demokratischen Partei im Vorfeld der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919
© ÖNB PLA16304167

Der Entwurf des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform stammte aus der Feder des sozialdemokratischen Leiters der Staatskanzlei, Karl Renner. 1929 erläuterte er im Rückblick sein Vorgehen in der Sache des Frauenwahlrechts folgendermaßen: Er hätte versucht „wenig Aufhebens zu machen und sie […] als Selbstverständlichkeit“ darzustellen, um das Frauenwahlrecht durchzubringen.

Als die Ausarbeitung der Wahlordnung anstand, kam es zu Protesten einiger weniger Deutschnationaler. Auf Seiten der Christlichsozialen spielte v.a. die Frage der Einführung einer Wahlpflicht bzw. das Junktimieren des Frauenwahlrechtes mit der Wahlpflicht eine wichtige Rolle. Der Grund hierfür war die Befürchtung der Christlichsozialen, dass sie die ihnen nahestehenden Frauen weniger gut mobilisieren könnten als die Sozialdemokrat*innen. Die sozialdemokratische Partei ihrerseits trat nun bedingungslos für das Frauenwahlrecht ein, sie brachte aber in die Wahlrechtsdiskussion ein, dass Frauen und Männer mit unterschiedlich farbigen Kuverts abstimmen sollten. Dass Frauen ab nun an Wahlen teilnehmen konnten, verunsicherte alle Parteien.

Schlussendlich wurde in Form eines Kompromisses beschlossen, die Regelung der Wahlpflicht den Ländern zu überlassen. Eine neue Wahlordnung, in der ebenfalls das allgemeine Frauenwahlrecht festgehalten war, wurde am 18. Dezember 1918 verabschiedet. Ausgenommen vom Wahlrecht waren bis 1923 jedoch die Prostituierten. Verschieden farbige Kuverts – zur „Beobachtung“ des Wahlverhaltens der Frauen – kamen bei den Nationalratswahlen von 1920 bis 1930 zur Anwendung. In der Zweiten Republik wurden unterschiedliche Abstimmungskuverts für Frauen und Männer auf Bundesebene nicht mehr verwendet, in Wien wurden sie aber bei Landtags- bzw. Gemeinderatswahlen ab 1954 wieder eingesetzt und bis 1996 beibehalten.