Direktdemokratische Elemente in Wien

Wien nimmt im Bundesstaat Österreich eine besondere Position ein. So ist die Bundeshauptstadt zugleich ein Bundesland als auch eine Gemeinde. Direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten gibt es sowohl auf Landes- als auch auf Gemeindeebene. Die direktdemokratischen Instrumente Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragung sind in der Wiener Stadtverfassung (WStV) und diversen Zusatz-Gesetzen verankert. Der Spielraum direkter Demokratie auf regionaler und kommunaler Ebene ist durch Bundeskompetenzen begrenzt, so fehlt insbesondere auf der Gemeindeebene für viele Bereiche die Gesetzgebungskompetenz (Karlhofer 2012: 14).

Instrumente direkter Demokratie in Wien:

In ihren grundlegenden Strukturen weichen die direktdemokratischen Elemente in Wien nicht stark von den bundesverfassungsrechtlichen Instrumenten ab. Direkte Demokratie in Wien unterscheidet sich aber in ihren rechtlichen Vorgaben von der Bundesebene und den anderen Bundesländern (Poier 2012: 106). Die Ausgestaltung direkter Demokratie variiert in den einzelnen Bundesländern. Die hier aufgeführten Regelungen gelten somit nur für Wien.

Volksabstimmung

Das Instrument der Volksabstimmung ist auf der Landes- und Gemeindeebene in Wien verankert und dessen Durchführung im Volksabstimmungsgesetz festgelegt (§ 131c Stadtverfassung/ § 112e Stadtverfassung/ Wiener Volksabstimmungsgesetz). Auf Landesebene gibt es die Möglichkeit, vom Landtag beschlossene Gesetze vor ihrer Kundmachung einer Volksabstimmung zu unterziehen. Diese Art von „Veto-Referendum“ kann im Gegensatz zu einigen anderen österreichischen Bundesländern nicht von Bürger*innen verlangt, sondern muss vom Landtag (einfache Mehrheit) beschlossen werden (Poier 2010: 37).

Auf Gemeindeebene kann der Gemeinderat eine fakultative Volksabstimmung über einzelne ihm zur Entscheidung vorliegende Angelegenheiten verordnen. Ausgenommen von Volksabstimmungen sind die Wahlen der Organe der Gemeinde, Gemeindeabgaben, Entgelte (Tarife), Personal- und behördliche Angelegenheiten sowie Maßgaben, durch die in verfassungsgesetzlich geschützte Grund- und Freiheitsrechte eingegriffen wird (§ 112e). Jedes stimmberechtigte Gemeindemitglied kann an der Volksabstimmung teilnehmen. Das Ergebnis von Volksabstimmungen auf Gemeinde- und Landesebene ist ab einem Beteiligungsquorum von 50 Prozent der Wahlberechtigten rechtsbindend. In Wien gab es bislang noch keine Volksabstimmung.

Volksbegehren

Das Volksbegehren stellt in Wien auf Landesebene die einzige Möglichkeit zur aktiven politischen Partizipation seitens der Bürger*innen dar (§ 131b Stadtverfassung/ Wiener Volksbegehrensgesetz). Ein Volksbegehren gab es mit Ausnahme der bundesweiten Volksbegehren in Wien allerdings noch nie. Dies verwundert nicht, wenn man die Voraussetzungen für die Einleitung eines Volksbegehrens betrachtet, welche das Instrument – im Gegensatz zur Bundesebene – in Wien schwer zugänglich machen. Im Gegensatz zum bundesweiten zweistufigen Volksbegehren, das aus Einleitungs- und Eintragungsverfahren besteht, ist das Verfahren des Volksbegehrens in Wien nur einstufig. Jede*r, die*der ein Volksbegehren einleiten will, muss somit von Beginn an die Mindestanzahl von Unterstützungserklärungen einbringen (5 Prozent). Die notwendige Anzahl von Unterschriften orientiert sich dabei immer an der Zahl von fünf Prozent aller Wahlberechtigten bei der letzten Landtagswahl und verändert sich somit ständig (derzeit: 57.225 Unterschriften, Quelle: ris.bka.gv.at). Damit der Antrag eines Volksbegehrens für gültig erklärt wird, muss die ermittelte Mindestanzahl an wahlberechtigten Bürger*innen mit einem nicht unterschriebenen Exemplar der Unterstützungserklärung und einem Lichtbildausweis zum zuständigen Magistrat gehen, um sich dort seine*ihre Wahlberechtigung bestätigen zu lassen (Fegerl 2012: 5). Ein erfolgreiches Volksbegehren wird dem Landtag übergeben und dort als Gesetzesvorlage – ohne juristische Verpflichtung auf Umsetzung – behandelt.

Volksbefragung

Die Möglichkeit einer Volksbefragung gibt es in Wien nur auf Gemeindeebene (§ 112a-d Stadtverfassung/ Wiener Volksbefragungsgesetz). Volksbefragungen können sowohl vom Gemeinderat (einfache Mehrheit) beschlossen werden als auch von einer Mindestanzahl von Gemeindebürger*innen. Für eine Volksbefragung auf Initiative der Bürger*innen bedarf es wie beim Volksbegehren einer Mindestanzahl von Unterschriften von fünf Prozent der wahlberechtigten Bürger*innen bei der letzten Landtagswahl. Bei Volksbefragungen gelten dieselben Themenausschlüsse wie beim Volksbegehren. Zu einer Volksbefragung „von unten“ ist es aufgrund dieser Hürden noch nicht oft gekommen. Volksbefragungen, die vom Gemeinderat beschlossen wurden, fanden jedoch seit 1973 regelmäßig statt. Ihr Ergebnis ist rechtlich nicht bindend.

Weitere Elemente direkter Demokratie in Wien

Die ebenfalls in der Wiener Stadtverfassung vorgesehene Bürger*innenversammlung stellt ein weiteres Element politischer Teilhabe für Bürger*innen in Wien dar (§ 104c Stadtverfassung). Sie unterscheidet sich von den direktdemokratischen Instrumenten dadurch, dass es keine Verpflichtung zur Beratung oder Beschlussfassung durch ein Landes- oder Gemeindeorgan gibt (Fegerl 2012: 14). Bürger*innenversammlungen dienen dem Zweck der Information und Diskussion über Angelegenheiten, die im „ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes gelegen sind“. Eine Bürger*innenversammlung kann neben dem Weg über die Bezirksvertretung auch von einer Mindestanzahl von fünf Prozent der bei der letzten Volkszählung festgestellten Anzahl von Einwohner*innen des Bezirks verlangt werden. Neben österreichischen Staatsbürger*innen können auf der Bezirksebene auch Staatsangehörige anderer EU-Mitgliedsstaaten den Antrag auf Abhaltung einer Bürger*innenversammlung gültig unterstützen (§ 4 Gemeindewahlordnung).

Weiters ist in der Wiener Stadtverfassung auf Bezirksebene eine Art Petitionsrecht unter der Überschrift „Mitwirkung der Bezirksbevölkerung“ verankert (§ 104b Stadtverfassung). Danach hat jede*r Einwohner*in das Recht sich in allen im Interesse eines Bezirkes gelegenen Angelegenheiten mit Wünschen, Anregungen, Vorschlägen und Beschwerden mündlich oder schriftlich an den*die Bezirksvorsteher*in und die Mitglieder der Bezirksvertretung zu wenden. Dabei kann jedoch noch nicht von einem „echten“ Petitionsrecht gesprochen werden.

Das Petitionsrecht in Wien

Das Petitionsrecht wurde am 7.1.2013 einstimmig im Wiener Landtag/Gemeinderat beschlossen. Etwa 1.490.000 Wiener*innen, die ihr 16. Lebensjahr vollendet und in Wien ihren Hauptwohnsitz gemeldet haben, unabhängig von der Staatsbürger*innenschaft, sind dazu berechtigt, Petitionen einzubringen und zu unterstützen. Ab 500 Unterstützungserklärungen wird die Petition an den neu geschaffenen Petitionsausschuss geleitet, der diese behandelt muss. Petitionen können auch online unter petitionen.wien.at eingebracht werden. Nach der Einbringung folgt eine formale Überprüfung der Petitionen durch das Magistrat. Das Anliegen muss von einer natürlichen Person eingebracht werden und die Wiener Landes- oder Gemeindeebene betreffen.

Neu ist, dass Unterstützer*innen bzw. Organisator*innen der Petition in den Ausschuss eingeladen werden können, um Stellung zu nehmen oder Auskunft zu geben. Nach der Behandlung im Petitionsausschuss muss das zuständige Regierungsmitglied schriftlich auf die Petition antworten. Einmal jährlich wird dem Landtag/Gemeinderat gesammelt über alle eingegangenen Petitionen berichtet.

In der konstituierenden Sitzung des Petitionsausschusses am 20.3.2013 sorgte ein von der Stadtregierung geplanter Antrag für Kritik. Dieser sah vor, dass gleichartige Anliegen nur einmal im Petitionsausschuss eingebracht werden können, egal welche Zeitspanne dazwischen liegt. Beträfe eine Petition ein bereits behandeltes Thema, so sollte diese an den zuständigen Fachausschuss geleitet werden, nicht mehr an den Petitionsausschuss. Zum Beispiel ginge die zweite Petition betreffend Bauvorhaben X an den Bauausschuss, nicht mehr an den Petitionsausschuss. Die Regierung wollte durch diese Änderung die Effizienz des neugegründeten Ausschusses wahren und verhindern, dass dieser mit zahlreichen ähnlich gelagerten Petitionen überlastet würde. Die Opposition sah darin jedoch eine Aushöhlung des Petitionsrechts. Der Antrag wurde letztlich von der Stadtregierung zurückgezogen, eine Arbeitsgruppe soll einen Vorschlag erarbeiten, wie die Effizienz des neuen Ausschusses gewährleistet werden könne. Vorsitzende des Ausschusses ist derzeit Mag.a Andrea Mautz-Leopold.

Grundsätzlich zeigten sich alle Parteien, wie auch Bürgerinitiativen erfreut über diese Neuerung. Herta Wessely von der Bürgerbeteiligungsplattform Aktion 21 zeigte sich in einer Stellungnahme jedoch skeptisch, weil auch dieses neue Instrument der direkten Bürgerbeteiligung nicht verbindlich ist. Auch Mag. Erwin Mayer von der Initiative „mehr Demokratie!“ zeigte sich kritisch und vergleicht das Petitionsrecht gar mit einem Bittgesuch, welches in der Form bereits seit 1867 im Grundgesetz verankert sei. Die Stadtregierung sei jedoch nur dazu verpflichtet, sich mit der Petition auseinanderzusetzen, nicht jedoch, ihr auch inhaltlich zu entsprechen.

Mehrere Bürgerinitiativen kündigten bereits an, von dem neuen Petitionsrecht Gebrauch machen zu wollen. Auch die Wiener ÖVP sammelte Unterschriften um die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße vor den Petitionsausschuss bringen. Diese Ankündigung rief Kritik hervor, weil das Petitionsrecht als Instrument der Bürgerbeteiligung vorgesehen ist, nicht für etablierte Parteien. Diesen stehen andere Möglichkeiten und Instrumente zur Verfügung, um für ihre Anliegen einzutreten.