Der autoritäre „Ständestaat“

Austrofaschismus 1933–1938

Karikatur auf die Ausschaltung des Parlaments 1933. „Von mir aus können alle weggehen. Ich bleibe auf jeden Fall. Ich bin nämlich ein Freund der Demokratie!“
Götz von Berlichingen, 10.03.1933

Drei Jahre später, am 4. März 1933, nutzte Bundeskanzler Dollfuß als Vorsitzender einer Regierung des „Bürgerblocks“ aus Christlichsozialen, Großdeutschen, Landbund und Heimwehr eine Geschäftsordnungskrise und den Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten dazu, das Parlament auszuschalten. Dass dieser Prozess bereits 1932 und nicht erst 1933 einsetzte, kann in den Ministerratsprotokollen dieses Jahres nachgelesen werden. Hier ist davon die Rede, dass die ökonomische Krise und die erforderlichen drastischen Sanierungsmaßnahmen – verwiesen sei in diesem Zusammenhang v.a. auf die hohe Arbeitslosigkeit als Folge der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren – besser zu bewältigen wären, wenn die Regierung gegenüber dem Parlament gestärkt würde. Explizit angesprochen wurde bereits in diesem Zusammenhang die Ausschaltung des Parlaments. Die ökonomische und die politische Krise verschränkten sich. Regiert wurde nach der Parlamentsausschaltung durch Dollfuß auf Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes des Jahres 1917. In den Folgemonaten wurden die Kommunistische Partei und die österreichische NSDAP verboten. Neben der Ausschaltung des Parlaments folgte der weitere Abbau demokratischer Errungenschaften: die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs, die Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit und das Streikverbot.

Europaweit war der Faschismus im Vormarsch. In Deutschland war Adolf Hitler von Reichspräsident Hindenburg am 30. Jänner 1933 zum Reichskanzler und Vorsitzenden einer Koalitionsregierung gemacht worden. Nach den für die Nationalsozialist*innen in Deutschland erfolgreichen Reichstagswahlen vom 5. März 1933 (nach dem Reichstagsbrand, an dem den Kommunist*innen die Schuld gegeben wurde) übernahm er auf Basis eines im Reichstag (gegen die Stimmen der Sozialdemokrat*innen und unter Ausschluss der Kommunist*innen) beschlossenen Ermächtigungsgesetzes die gesamte Macht im Staat; die nationalsozialistische Terrorherrschaft begann. Christlichsoziale und Sozialdemokrat*innen rückten hierauf von „Anschluss“-Gedanken ab.

Österreich lehnte sich in jenen Jahren – insbesondere auch was die intendierte ständische Gesellschaftsordnung betraf – an den Faschismus Mussolinis an und teilte mit den übrigen faschistischen Strömungen mehrere Merkmale: Führerprinzip, Militarismus, Nationalismus, Antiindividualismus, Antimarxismus, staatliche Gewalt und Demokratiefeindlichkeit. Italien trat gegenüber Deutschland – was die Sicherung der österreichischen Unabhängigkeit nach außen hin betraf – auch als Schutzmacht Österreichs auf, verlangte dafür aber eine dauerhafte Ausschaltung des Parlaments, ein Verbot der SDAP und die Förderung der faschistischen Heimwehr. Als „überparteiliche“ politische Organisation zur Zusammenfassung aller „regierungstreuen“ Kräfte wurde am 20. Mai 1933 die Vaterländische Front gegründet. Sie sollte nach der Auflösung aller Parteien – und dem Verbot der SDAP 1934 – alleiniger Träger der politischen Willensbildung und des „Ständestaats“ sein. Die Gegner*innen des autoritären „Ständestaats“ wurden verfolgt und in Anhaltelager – wie in das ab Oktober 1933 bestehende, zwischen Wien und Wiener Neustadt gelegene Lager Wöllersdorf – verbracht.

Bürgerkrieg im Februar 1934
© ÖNB H 2437/7

Bürgerkrieg in Österreich 1934

Der erste allgemeine „Appell“ der neu gegründeten Vaterländischen Front erfolgte am 11. September 1933 auf dem Trabrennplatz in Wien. Von Engelbert Dollfuß wurde in diesem Zusammenhang die Errichtung eines „sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“ verkündet. Festgeschrieben wurde diese Zielvorstellung in der Verfassung vom 1. Mai 1934. Nur drei Monate nach dem Bürgerkrieg zwischen „linkem“ und „rechten“ Österreich (Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und dem bereits verbotenen Republikanischen Schutzbund auf der einen Seite sowie dem Bürgerblock und der Heimwehr auf der anderen Seite) erfolgte somit der endgültige Bruch mit der nach dem ersten Weltkrieg festgelegten parlamentarischen Demokratie.

Auslöser des Bürgerkrieges im Februar 1934 war eine Hausdurchsuchung von Polizei bzw. Heimwehr – Heimwehrführer Emil Fey bekleidete inzwischen das Amt des Innenministers – bei den Linzer Schutzbundtruppen. Stätten des Kampfes waren v.a. die österreichischen (Wiener) Gemeindebauten. Grund der Auseinandersetzungen war der weitere Vormarsch des Faschismus in Österreich und dessen Bekämpfung. Die Kämpfe endeten mit einer Niederlage der Arbeiter*innenbewegung und einem gewaltsamen Triumph des Faschismus, der rund 1200 Tote und 5000 Verwundete kostete. Neun Schutzbundführer wurden standrechtlich zum Tod verurteilt.

„Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht …“. Bundesverfassung 1934
© ÖNB ALEX

Verfassung 1934

Am 1. Mai, dem traditionellen Festtag der Arbeiter*innenbewegung, wird die austrofaschistische Verfassung verkündet. Eine autoritäre und vom Anspruch her ständische politische Struktur wird verfassungsgesetzlich festgeschrieben. Sie besiegelt den radikalen Bruch mit der nach dem Ende des Ersten Weltkriegs festgelegten parlamentarischen Demokratie, tritt jedoch nie in Kraft.

Die am 1. Mai „im Namen Gottes“ verabschiedete (aber nie in Kraft getretene) Verfassung schrieb den autoritären Machtanspruch des Austrofaschismus und der Regierung Dollfuss fest. Sie ging von einer besonderen Machtstellung des Bundeskanzlers und dem Aufbau der Monopolorganisation Vaterländische Front aus und sollte zur Grundlage eines „sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage“ werden. Anvisiert wurde somit ein (berufs-)ständisches Gesellschaftsmodell, das sich gegen den Klassenkampfgedanken stellte und einem verklärten Bild des Mittelalters entstammte. Der „Ständestaat“ verfolgte ein von der katholischen Kirche getragenes, überholtes ständisch-feudales, hierarchisch-elitäres Gesellschaftsmodell, das auf dem Heer, der Bürokratie und der katholischen Kirche als neuen Machtträgern beruhte. Eine breite Österreich-Offensive sollte zur Akzeptanz des neuen Regimes, zur Sicherheit der Unabhängigkeit gegenüber Deutschland und der nationalen Identifikation dienen. Eine klare Abgrenzung gegenüber Deutschland blieb jedoch aus. Der nur schwammig definierte Österreich-Patriotismus, der sich im Gegensatz zum expansiven deutschen Faschismus als „Binnen-Ideologie“ entwickelte und auf „Vaterlandstreue“ und „Heimatliebe“ setzte, erhielt ebenso wenig wie der „Ständestaat“ selbst die Zustimmung der österreichischen Bevölkerung.

Stattdessen geriet das Land immer stärker unter nationalsozialistischen Druck – sowohl was Deutschland als auch die österreichischen Nationalsozialisten betraf, die durch die Machtübernahme Hitlers in Deutschland an Selbstbewusstsein gewonnen hatten. Im Juli 1934 versuchten die mittlerweile verbotenen Nationalsozialist*innen gewaltsam die Macht zu übernehmen. Bundeskanzler Dollfuß erlag wenig später den hierbei erlittenen Schussverletzungen, woraus der „Mythos“ von Dollfuß, der 1933 die Demokratie in Österreich beendet und 1934 auf Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen schießen hatte lassen, als Verteidiger und Märtyrer Österreichs resultierte. Sein Nachfolger Kurt von Schuschnigg musste mit dem Juliabkommen 1936 einen „inneren Anschluss“ Österreichs an Deutschland hinnehmen, der u.a. die Aufnahme von zwei Vertretern der „nationalen Opposition“ in sein Kabinett umfasste.

Aufruf zur Volksbefragung am 13. März 1938
© ÖNB S 350/10

Volksbefragung 1938

Angesichts des wachsenden deutschen Drucks auf Österreich kündigte Bundeskanzler Schuschnigg am 9. März für den 13. März 1938 eine Volksbefragung über ein „freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich“ an. Auf Druck Hitlers musste die Volksbefragung jedoch abgesagt werden.

Mit den im Juliabkommen  gemachten Zugeständnissen gab sich das nationalsozialistische Deutschland jedoch nicht zufrieden. Bei einem Treffen zwischen Hitler und Schuschnigg im Februar 1938 in Berchtesgaden forderte ersterer unter Androhung eines Einmarsches die Aufnahme von zwei nationalsozialistischen Ministern in die Regierung und die Amnestierung der inhaftierten Mitglieder der NSDAP. Insbesondere das Innenministerium, das für die innere Sicherheit zu sorgen und sich auch mit den Aufmärschen der Nationalsozialist*innen zu beschäftigen hatte, sollte ihnen überlassen werden.

Von Seiten Schuschniggs wurde in dieser Situation eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs für den 13. März angesetzt. Von einzelnen Exponenten des „Ständestaates“ wurde als letzte Rettungsmaßnahme zur Sicherung der Unabhängigkeit Österreichs auch der Kontakt zur Arbeiterschaft gesucht. Eine Legalisierung von SDAP oder KPÖ war aber nicht vorgesehen. Noch bevor die für den 13. März 1938 geplante Volksabstimmung durchgeführt werden konnte, forderte Hitler jedoch unter einer neuerlichen Drohung des Einmarsches deren Absage, den Rücktritt Schuschniggs und die Ernennung des nationalsozialistischen Innenministers Arthur Seyß-Inquart zum Bundeskanzler. Mussolini und das faschistische Italien hatten ihre Schutzfunktion 1935/1936 im Zuge des italienischen Überfalls auf Abessinien (das heutige Äthiopien), bei dem sie auf die Unterstützung Hitlers angewiesen waren, aufgegeben. Um die Unterstützung der westlichen demokratischen Regierungen gegen den Druck Deutschlands hatte sich der „Ständestaat“ nicht ernsthaft bemüht.