Demokratiegeschichte in Österreich 1918–1938

Die jüngere österreichische Demokratiegeschichte im Sinne der Etablierung eines parlamentarischen Systems, das allen Bürger*innen – unabhängig von Stand, Einkommen oder Geschlecht – durch allgemeine und gleiche Wahlen die Partizipation am politischen Prozess ermöglicht, beginnt im Jahr 1918. Nach dem kriegsbedingten Ende der Habsburgermonarchie wurde in Wien am 12. November 1918 die Republik Deutschösterreich ausgerufen und das Volk zum Souverän gemacht, von dem die politische Willensbildung ausgehen sollte.

Historischer Rückblick: Vom aufgeklärten Absolutismus zur Republiksgründung 1918

Mit der Ausrufung der Republik fand eine Entwicklung ihr vorläufiges Ende, die bis in die Zeit des aufgeklärten Absolutismus zurückreicht und durch die bürgerliche Revolution von 1848, den politischen Liberalismus 1867–1873 und die Herausbildung von Massenparteien im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wichtige Impulse erhielt. Charakterisiert war sie vom Kampf um die Teilnahme am politischen Prozess bzw. der Verbreiterung des (verfassungsrechtlich abgesicherten) Einflusses der Bürger*innen auf die Politikgestaltung.

Einen ersten bedeutenden Forstschritt brachte die bürgerliche Revolution von 1848. Die für den bürgerlichen Staat charakteristischen Institutionen und Strukturen – Verfassung, Parlament, kommunale Selbstverwaltung, politische Freiheitsrechte – wurden ausgebildet. Eine verhältnismäßig freie Wahl fand statt.

Kämpfe in Wien, Oktober 1848
© ÖNB Pk 2598, 238

Nach der militärischen Niederschlagung der Revolution folgte jedoch bereits im Herbst 1848 wieder eine Periode der politischen Restauration. Regiert wurde – auch wenn weiter ein Parlament bestehen blieb, das sich aus Adeligen und Großgrundbesitzern zusammensetzte – absolutistisch. An die Entwicklung von 1848 wurde erst 1867 wieder angeknüpft: Österreich wurde durch eine Verfassungsreform zur konstitutionellen Monarchie; der österreichische Parlamentarismus blieb aber nach wie vor ein Privilegienparlamentarismus.

Erst das 1867 geschaffene neue Vereins- und Versammlungsrecht ermöglichte die Etablierung von Massenparteien, die die Demokratisierung vorantrieben. 1907 wurde v.a. auf Druck der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) ein allgemeines und gleiches Wahlrecht für die Männer – unabhängig von ihrem Einkommen und ihrer Steuerleistung – beschlossen.

Das allgemeine, gleiche Wahlrecht für Frauen, das von den führenden Proponenten der SDAP – so auch Victor Adler – zurückgestellt worden war, um einen Durchbruch beim Männerwahlrecht nicht zu gefährden, folgte erst 1918. Gleichfalls erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs (1914–1918) kam der Übergang vom Mehrheitswahlrecht zum Verhältniswahlrecht, das den verschiedenen politischen Strömungen eine proportionale Vertretung im österreichischen Parlament garantieren sollte und v.a. von der Sozialdemokratie gefordert worden war.