Geschichte einer Idee

Der Durchbruch der Idee gleicher Rechte für alle Menschen in Europa hängt eng mit vier miteinander verbundenen neuzeitlichen Entwicklungen zusammen: dem Kolonialismus, der Reformation, der Entwicklung des Kapitalismus und den demokratischen Revolutionen.

Frühe Dokumente

Der Zusammenhang mit dem Kolonialismus war zunächst ein negativer: Die im 16. Jahrhundert und darüber hinaus diskutierte Frage war keineswegs, ob den Kolonisierten und der Sklaverei Unterworfenen „gleiche Rechte“ zustünden, sondern, ob es sich bei ihnen überhaupt um Menschen handle. In Europa selbst brach in der Zwischenzeit die Reformation mit vielen traditionellen Vorstellungen (auch wenn Luther selbst einer radikalen Auslegung seiner Thesen durch die aufständische Bauerngemeinschaft stets entgegentrat), darunter mit jener von der Vermittlung zwischen Mensch und Gott durch die Institution Kirche. Im Unterschied zum politisch ambitionierten Katholizismus erklärte der Protestantismus die Religion weit gehend zur privaten Angelegenheit des*der Einzelnen. Die folgenden Religionskriege, die Europa erschütterten, liefen schließlich auf eine Lösung durch die Formel „cuius regio – eius religio“ hinaus – der*die politische Herrscher*in konnte auch die Religion der Untertanen bestimmen. Wiewohl ein solches Prinzip der Religionsfreiheit, wie wir sie heute verstehen, geradezu entgegengesetzt ist, begann damit die langsame Unterordnung der katholischen Kirche unter den Staat und die Entflechtung der religiösen und der politischen Sphäre. Im Zuge des Aufstiegs des Bürgertums, wirtschaftlich durch die neue kapitalistische Produktionsweise begünstigt, doch politisch rechtlos, entwickelte sich die Philosophie der Aufklärung, die das Verhältnis der Staatsmacht zu den ihr Unterworfenen grundsätzlich neu konzipierte (als wesentliche Vertreter wären hier John Locke 1632–1704, Jean-Jacques Rousseau 1712-1778 und Immanuel Kant 1724-1804 zu nennen). Ihre Thesen beeinflussten die in England nach der „Glorious Revolution“ von 1689 verabschiedete „Bill of Rights“ mit der eine konstitutionelle Monarchie eingeführt wurde (Text der „Bill of Rights“) ebenso wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 (Text der Unabhängigkeitserklärung) und die Französische Revolution. Schon hier zeigt sich aber auch, wie weit der universelle Anspruch der Texte und die Realität auseinanderklaffen können. Während es in der Unabhängigkeitserklärung heißt: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness“ (ebd.), dauerte es in den Vereinigten Staaten bis zum Jahr 1863, bevor die Sklaverei verboten wurde, und bis 1964, bevor – als Reaktion auf die starke Bürgerrechtsbewegung – durch das Bürgerrechtsgesetz Diskriminierung auf Grund von „race, color, religion or national origin“ für ungesetzlich erklärt wurde.

Französische Revolution

Zum für spätere Grundrechtskataloge bedeutendsten Vorbild sollte die im Revolutionsjahr 1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedete „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ werden (Text der Erklärung im französischen Original und auf Deutsch). Hier findet sich bereits die Meinungsfreiheit als eines der „natürlichen, unveräußerlichen und geheiligten Rechte des Menschen“, wobei auch ein möglicher Missbrauch schon Erwähnung findet:

„Die freie Äußerung von Meinungen und Gedanken ist eines der kostbarsten Menschenrechte; jeder Bürger kann also frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.“ (ebd.)

Die in ihren Formulierungen so universell gehaltenen „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ war in ihrem Anwendungsbereich im revolutionären Frankreich jedoch keineswegs universell gedacht, da Frauen – trotz ihrer Beteiligung in der Revolution – von allen bürgerlichen Rechten ausgeschlossen blieben. Olympe de Gouges erregte mit ihrem als Antwort darauf formulierten Text, der „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ in Frankreich und über die Grenzen hinaus Aufsehen (Text der Erklärung, Portrait von Olympe de Gouges). Olympe de Gouges forderte darin die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Bezug auf ihre politische Vertretung ebenso wie den gleichen Zugang zu allen Ämtern. Im Jahr 1793 wurde sie von einem Revolutionstribunal wegen angeblicher Propaganda für die Wiedererrichtung der Monarchie zum Tod verurteilt und geköpft.

„Nachzügler“ Österreich

In Österreich sollten noch gut 70 Jahre vergehen, bevor ein Grundrechtskatalog Eingang in die Verfassung fand, nachdem die Niederschlagung der bürgerlichen Revolution von 1848 den vom Kremsierer Reichstag ausgearbeiteten Entwurf gegenstandslos machte. Das Staatsgrundgesetz von 1867 bildet bis heute die Basis der von der österreichischen Verfassung garantierten Grundrechte, wurde aber durch den Staatsvertrag von 1955 und die Übernahme internationaler Verträge – insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – in österreichisches Recht modifiziert und erweitert.