1968 – Protest und Forderungen nach Veränderung

Zum Symbol des Wunsches nach Veränderung wurden das Jahr 1968 und der in den späten 1960er Jahren stattfindende Protest der Student*innen gegen die konservativ-autoritäre Nachkriegsgesellschaft. Protestiert wurde in den USA und in Europa gegen den Vietnam-Krieg und das herrschende Universitätssystem. Neue Formen des Zusammenlebens – Ausdruck eines im Wandel begriffenen Geschlechterverhältnisses – wurden ausprobiert. Insgesamt wehte der Zeitgeist von „links“. Zu wichtigen Bezugspunkten für die „Neue Linke“ wurden die Theoretiker der Frankfurter Schule und der französische Existentialismus. Zur „fixen Ausstattung“ der neuen Linken gehörte nicht selten die Mao-Bibel, die den vorhandenen Widerspruch der „68er-Bewegung“ widerspiegelt: gegen den Autoritarismus im Westen anzukämpfen und dem real existierenden Kommunismus gleichsam mit einem „blinden Auge“ zu begegnen.

Besetzung eines Uni-Hörsaals. Die revolutionären Vorgänge im Mai 1968 in Paris waren Vorbild für die Aktionen österreichischer Studierender. Ende Mai besetzten sie die Universität in Wien, hissten die Rote Fahne und hielten Diskussionsveranstaltungen ab.
© Votava, Wien

1968 in Österreich und die Folgen

Bereits 1965 war es zu Demonstrationen von Studierenden gegen den Hochschulprofessor Taras Borodajkewycz gekommen, der in seinen Vorlesungen offen antisemitisch aufgetreten war. 1968 zeigten die Studierenden ihre Solidarität mit Rudi Dutschke, einem zentralen Akteur der Student*innenbewegung in Westdeutschland, nachdem er von einem Hilfsarbeiter angeschossen worden war. Die linke Parteijugend störte den traditionellen 1. Mai-Aufmarsch, in Wien schlossen sich die Studierenden den Arbeiter*innen an, die gegen die drohende Schließung einer Lokomotivenfabrik demonstrierten. Im Vergleich zu anderen Staaten war die Zusammensetzung der Studenten*innenbewegung jedoch differenzierter, im Vordergrund standen nicht nur marxistisch dominierte, sondern auch liberale und katholische Kräfte. Gleichfalls zeigte sich „1968“ in Österreich – wie vielfach betont wird – auch stärker im künstlerisch-kulturellen Bereich. Als „Höhepunkt“ des österreichischen „1968“ wird somit auch immer wieder die so genannte Uni-Ferkelei im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes in Wien am 7. Juni 1968 genannt, bei der die Künstler Günter Brus, Otto Mühl, Peter Weibel und Oswald Wiener unter dem Titel „Kunst und Revolution“ versuchten, durch das Brechen so vieler Tabus wie nur möglich zu schockieren. Auf dem Land fand „1968“ vielfach verspätet statt. Quasi als Ausläufer – und neuerlich als Beleg dafür, dass sich „1968“ in Österreich v.a. als künstlerisch-kulturelles Phänomen zeigte – kann die Arena-Besetzung im Juni 1976 genannt werden. Sie bezeichnet den Widerstand gegen die Schließung des im ehemaligen Auslandsschlachthof in Wien-St. Marx eingerichteten gleichnamigen Kulturzentrums.

Insgesamt wäre es somit falsch – wie der Journalist und ehemalige 68er Gerfried Sperl bereits vor einigen Jahren festgehalten hat – „1968“ in Österreich auf ein Jahr zu reduzieren. Vielmehr steht die Chiffre für Protest und Forderungen nach gesellschaftlichen Neuerungen, die sich über mehrere Jahre erstreckten. Bedeutend ist „1968“ v.a. aufgrund seiner gesellschaftlichen Folgewirkungen und dadurch, dass es eine Europäisierung nach Österreich brachte. Wenn das eigentliche Jahr 1968 in Österreich auch eher beschaulich verlief, erreichten doch internationale Wellenlängen das Land, das Papst Paul VI 1955 noch als eine „Insel der Seligen“ bezeichnet hatte.