Renner Karl

Karl Renner wurde 1870 in Unter-Tannowitz (Tschechische Republik) geboren. Er entstammte einer verarmten Bauernfamilie, studierte an der Wiener Universität Rechtwissenschaft, bekam 1895 einen Posten in der Reichsratsbibliothek in Wien und zog 1907 für die SDAP in die Abgeordnetenkammer des Reichtstages ein. Gleichzeitig war Renner (oft unter dem Pseudonym Springer) publizistisch tätig und beschäftigte sich neben sozialökonomischen Themen mit Fragen des Vielvölkerstaates, der Struktur der Donaumonarchie und der Nationalitätenfrage. Renner war von 1918-20 Staatskanzler der Ersten Republik, 1918-19 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung und 1919-20 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung. Er war der Schöpfer der Provisorischen Verfassung, der Wahlordnung und grundlegender Gesetze sowie Leiter der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Saint-Germain. Von 1930-34 war er Abgeordneter zum Nationalrat und von 1931-33 dessen Erster Präsident. 1934 war Renner kurz in Haft, danach zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück. Bei der Volksabstimmung 1938 trat Renner, der bereits nach 1918 einen Anschluss an Deutschland befürwortet hatte, für einen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ein und begrüßte auch die Annexion der sudetendeutschen Gebiete im Herbst dieses Jahres. Die Kriegsjahre verbrachte Renner in Gloggnitz (Niederösterreich) mit rechtswissenschaftlichen und soziologischen sowie schriftstellerischen Arbeiten. Im April 1945 wurde Renner von der sowjetischen Besatzungsmacht, nachdem er sich Stalin diesbezüglich anerboten hatte ("lieber, großer Genosse Stalin"), zum Staatskanzler einer provisorischen Staatsregierung aus SPÖ, ÖVP und KPÖ ernannt, die im Sommer von den Westalliierten anerkannt wurde. Nach den ersten freien Wahlen in Österreich am 25. November 1945 wurde Renner durch die Bundesversammlung zum ersten Bundespräsidenten der 2. Republik gewählt und blieb dies bis zu seinem Tod Ende 1950.
Quellen: Herbert Dachs u.a. (Hg.), Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik, Wien 1995