Europäische Bürgerinitiative

Bereits seit den 1980er Jahren gab es Ideen und Vorschläge, auch auf EU-Ebene ein Instrument der direkten Demokratie einzuführen. Aber erst mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon konnte tatsächlich das weltweit erste länderübergreifende Bürgerbeteiligungsinstrument umgesetzt werden: Seit 1. April 2012 ist es möglich, eine Bürgerinitiative auf europäischer Ebene durchzuführen und damit die Europäische Kommission dazu aufzufordern, zu einem bestimmten Thema aktiv zu werden.

Wie funktioniert eine Europäische Bürgerinitiative (EBI)?

Alle EU-Bürger*innen, die das erforderliche Mindestalter für EU-Wahlen erreicht haben (in Österreich liegt das Wahlalter bei 16 Jahren, in den anderen EU-Staaten bei 18), können eine Europäische Bürgerinitiative organisieren oder unterstützen. Um eine EBI registrieren zu können, muss ein Bürger*innenausschuss gebildet werden, dem mindestens 7 Bürger*innen aus mindestens 7 verschiedenen EU-Staaten angehören. Dieser Ausschuss ist während des gesamten Prozesses für die Verwaltung der Initiative verantwortlich. Die Unterstützungserklärungen können online oder in Papierform abgegeben werden. Wenn mindestens eine Million EU-Bürger*innen aus mindestens einem Drittel der Mitgliedsstaaten (derzeit 7) die Initiative unterstützen, findet im Europäischen Parlament eine Anhörung statt, an der auch die Europäische Kommission teilnehmen muss. Danach hat die Kommission drei Monate Zeit, um eine Stellungnahme zum Thema der Bürgerinitiative zu formulieren und zu entscheiden, ob ein entsprechender Gesetzesvorschlag erarbeitet wird. Das Initiativrecht bleibt also weiterhin bei der Kommission, jedoch bekommen die Bürger*innen die Möglichkeit, die Kommission durch ein offizielles Instrument zum Aktiv-werden aufzufordern. Die Initiativen können sich auf Themen beziehen, die in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen. Eine Änderung der geltenden Verträge kann nicht gefordert werden. Bei der Registrierung einer EBI müssen folgende Daten angegeben werden: Titel, Gegenstand und Ziel der geplanten Initiative, sowie die Artikel aus den EU-Verträgen, auf die sich die Initiative bezieht.

Bereits registrierte Europäische Bürgerinitiativen

Auf der offiziellen Website der EBI können alle registrierten Bürgerinitiativen eingesehen werden. Derzeit beläuft sich die Anzahl auf 76 Initiativen, wovon 4 davon im Europäischen Parlament beantwortet wurden (Stand Jänner 2021).

Die Anliegen sind vielfältig und reichen von der Forderung nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in allen EU-Staaten, über einen günstigen einheitlichen Handytarif für Gespräche in ganz Europa, ein 30km/h-Tempolimit in Wohngebieten und ein ganzheitliches europäisches Bildungssystem bis zum Menschenrecht auf Trinkwasser und sanitäre Grundversorgung. Auf der offiziellen Homepage der Europäischen Bürgerinitiative können Details zu den einzelnen Initiativen nachgelesen und auch Unterstützungserklärungen abgegeben werden

Die EBI „right2water.eu“ (Wasser ist ein Menschenrecht, keine Ware) konnte beispielsweise innerhalb kurzer Zeit das Erfordernis von 1 Million Unterschriften in mindestens 7 Mitgliedsstaaten erfüllen. Dies zeigt auf, dass die Bürger*innen der Europäischen Union nicht nur auf nationalstaatlicher Ebene mitbestimmen möchten, sondern auch auf europäischer Ebene. Obwohl häufig von Politikwissenschaftler*innen, Journalist*innen und Politiker*innen ein Mangel an europäischer Öffentlichkeit oder „europäischen“ Bürger*innen beklagt wird, scheinen dennoch viele Bürger*innen davon überzeugt, dass es staatenübergreifende Anliegen gibt, die am besten staatenübergreifend behandelt werden.

Kritik an der EBI

Dennoch wird die nun gültige Form der EBI von manchen Expert*innen kritisiert, die hohe formale Anforderungen und das komplizierte Online-Tool zur Registrierung einer Initiative bemängeln. So gibt es bisher in jedem der 27 Mitgliedsstaaten unterschiedliche formale Anforderungen, um eine Petition zu organisieren bzw. zu unterstützen. Dies erschwert den Bürger*innen die Koordination ihrer Anliegen und die erfolgreiche Registrierung einer Europäischen Bürgerinitiative.

Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass die Organisation und Verwaltung einer EBI einen erheblichen finanziellen Aufwand für die engagierten Bürger*innen bedeutet, der jedoch von der EU nicht erstattet wird – politische Parteien werden jedoch sehr wohl durch die EU finanziell gefördert. Dies wird als Widerspruch angesehen und die finanzielle Unterstützung von EBIs entweder durch die EU oder durch die Nationalstaaten gefordert. Zudem werden die Initiatoren*Initiatorinnen einer EBI rechtlich nicht abgesichert, was bedeutet, dass etwaige Schäden, die während der Initiative anfallen, selbst beglichen werden müssen. Dies kann zur Folge haben, dass Bürger*innen davon abgeschreckt werden eine EBI zu starten.

Die Demokratie-Initiative „mehr Demokratie!“ gibt außerdem zu bedenken, dass die Kommission zwar aufgefordert wird, sich mit der EBI auseinanderzusetzen, sie kann die Forderung dann inhaltlich aber auch ignorieren – daher wird die EBI als semi-direkt-demokratisches Instrument bezeichnet.

Als positiv wird jedoch angesehen, dass eine transparente und offene Gestaltung der EBI als Lernbeispiel für nationale Regelungen gelten könnte und somit das Instrument der Bürgerinitiative auch auf nationalstaatlicher Ebene anregen könnte.

Das Instrument der EBI unterläuft einer ständigen Reform, welche mit Studien evaluiert wird.