Pluralistisch-repräsentative Demokratie

Die Pluralistisch-repräsentative Demokratietheorie (kurz: Repräsentative Demokratie) ist wie das wirtschaftswissenschaftlich geprägte Elitenmodell im Erfahrungskontext der 1950er Jahre in den USA entwickelt worden. Ihre Vertreter*innen gehen von der Vielfalt und Konkurrenz gesellschaftlicher Interessen aus. Im Gegensatz zum elitistischen Ansatz geht es ihnen aber nicht um Machtkonzentration, sondern in erster Linie um Machtstreuung und Pluralismus. Das heißt: Eine Vielgliederung der Interessengruppen, der politischen und sozialen Ordnungen, der Willensbildungsprozesse sowie der Vermittlungsinstanzen. Zudem sind sie Vertreter*innen einer repräsentativen Demokratie, in der die höchstdifferenzierte Gesellschaft durch gewählte, ausreichend legitimierte und kontrollierte Repräsentant*innen vertreten wird, die aus der Interessenvielfalt resultierende Konflikte anstelle des Individuums austrägt.
Robert A. Dahl und Ernst Fraenkel gehören zu den Hauptvertretern des pluralistisch-repräsentativen Demokratiemodells. Während der erstere eine gesellschaftszentrierte Theorievariante vertritt, die v.a. im angloamerikanischen Sprachraum ansässig ist, entwirft Ernst Fraenkel für Deutschland und Westeuropa ein staatszentriertes Modell.

Robert A. Dahl: „Polyarchie“, 1971

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler konnte wie die Vertreter*innen der Elitendemokratie nach 1945 nicht mehr an den geschichtsphilosophisch geprägten normativen Demokratiebegriff anknüpfen. Mit dem Begriff der „Polyarchie“ (= Herrschaft von Vielen, Schmidt, S. 212) bezeichnet er ab 1950 die real existierenden, aber unvollkommenen Demokratien in den USA und Europa. Der Begriff „Demokratie“ stellt für ihn hingegen einen Idealtypus dar, den auch die besten Demokratien nicht erreichen. Unter der neuen Terminologie bestimmt Dahl die prozedurale und institutionelle Gestalt einer Demokratie. Darüberhinaus benennt er Qualitätsindikatoren und Funktionsvorrausetzungen eines demokratischen Systems. Insgesamt misst Dahl den unterschiedlichen politischen Institutionen und Verfahrensweisen (input) eine wesentlichere Bedeutung zu als den politischen Resultaten (output).

Dahl verwendet einen engen Demokratiebegriff. Er stellt in seinem Polyarchie-Konzept neben die Dimension „Wettstreit“ die Dimension „Partizipation“, die sich gegenseitig bedingen. Damit unterstreicht Dahl, dass sich Demokratie nicht nur durch eine wettbewerblich organisierte Willensbildung und Entscheidungsfindung auszeichnet, sondern vor allem auch durch einen hohen Grad an Inklusion, also die politische Einbeziehung aller abstimmungsfähigen erwachsenen Staatsbürger*innen. Darüber hinaus muss nach Dahl in einer Polyarchie die langfristige Responsivität der Regierung gegenüber den Präferenzen der Bürger*innen garantiert sein und die jeweiligen Interessen politisch gleich behandelt werden. (vgl. Dahl 1971: 1f.) Im Gegensatz zum Demokratiemodell von Schumpeter und Downs beschränkt sich Dahls Polyarchiemodell nicht allein auf die wettbewerbliche Elitenauswahl, sondern fordert die Inklusion möglichst vieler Beteiligten im pluralistischen Wettbewerb. Doch sieht auch diese Inklusion eher unmittelbare Partizipation als direkte Beteiligung vor.

Ernst Fraenkel: Staatszentriertes Modell

Der Exil-US-Amerikaner Ernst Fraenkel gilt als Begründer des Neopluralismus: Er verknüpft liberale Demokratievorstellungen mit sozialistischen und schreibt dem Staat eine zentrale Rolle zu. Fraenkel definiert pluralistische Demokratie als eine Art „Staatsgebilde“, das sich von anderen Staatsverfassungen aufgrund seiner Pluralität, Legitimierungsweise, einer heterogenen Regierungsorganisation und Gesellschaft sowie dem Vorrang des Rechtsstaates von anderen Regierungssystemen unterscheidet (vgl. Schmidt 2010).

Fraenkel geht von der zentralen These aus, dass es in einer differenzierten Gesellschaft im Bereich der Politik kein im Vorhinein bestimmtes Gemeinwohl geben kann. In einer pluralistischen Demokratie wird das Gemeinwohl erst „a posteriori“, erreicht, und zwar als Ergebnis eines „delikaten Prozesses der divergierenden Ideen und Interessen der Gruppen und Parteien“ (Fraenkel 1991). Der Staat muss dabei für die Herstellung von „Waffengleichheit“ zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen (Parteien, Verbände, Organisationen, Gruppen) als auch für die Berücksichtigung der Interessen von Minderheiten Sorge tragen.

Das neopluralistische Demokratiekonzept von Fraenkel bejaht folglich die Interessenvielfalt und ein geregeltes Austragen der Interessenkonflikte als Maßstab einer freiheitlichen Demokratie. Eine stabile Demokratie setzt jedoch neben Konflikten, von Fraenkel als „kontroversen Sektor“ bezeichnet, zugleich Konsens voraus: Also, einen „nicht-kontroversen Sektor“, ein allgemein als gültig anerkannter Wertekodex an gemeinsamen Grundwerten und Spielregeln in einer Gesellschaft, ist somit ein unverzichtbarer Bestandteil der pluralistischen Demokratie (vgl. Schmidt 2010: 220f). Dies wird auch als demokratischer Grundkonsens bezeichnet.

Die Interessevielfalt in der heterogenen Gesellschaft und die daraus entstehenden Konflikte bilden die Grundlage der pluralistischen Demokratietheorie. Es geht jedoch nicht um das Kämpfen von Einzelnen für ihre Interessen. Die pluralistisch strukturierte Gesellschaft erfordert den Zusammenschluss von Partikularinteressen zu kollektiven Interessenvertretungen (Parteien, Verbände, Bürgerinitiativen), in denen die verschiedenen Interessen der Bürger*innen vertreten werden. In diesem Sinne setzt die pluralistische Demokratie im Gegensatz zur Elitetheorie eine Mehrparteiensystem und eine aktive Beteiligung der Bürger*innen voraus, die in Zusammenschlüssen ihre Interessen verfolgen (vgl. Massing 2003).

Kritik

Das pluralistische Konzept einer indirekten Demokratie hat sich bis heute in Österreich, Deutschland und vielen anderen Staaten in weiten Ansätzen durchgesetzt. Ihre Vertreter*innen haben das Augenmerk auf die Wahrung der Interessenvielfalt und die Bedeutung von einflussreichen intermediären Gesellschaftsgruppen gelegt. Die Bedeutung der Interessengruppen in der Politik zeigt sich auch am Beispiel der Umweltpolitik. So hat das verstärkte Auftreten von Umweltbewegungen in den 70er und 80er Jahren dazu geführt, dass sich neue Parteien etablierten und der Umweltschutzgedanke Eingang in die politische Diskussion im Parteienwettbewerb fand (vgl. Schmidt 2010). Jedoch liegt, so die Kritik des Politikwissenschaftler Dachs, im repräsentativen und pluralistischen Modell der Schwerpunkt weiterhin auf der Herstellung von Repräsentativtät und Kontrolle anstelle einer Ausweitung der Partizipationsrechte des/der einzelnen Bürgers/in (vgl. Dachs 2008: 24). Es besteht somit eine enge Demokratiekonzeption, die sich auf die „politische Demokratie“ beschränkt und sich in erster Linie auf das Verhältnis von Bürger*innen und politisches System sowie auf den Pluralismus von Interessengruppen und Parteien bezieht.