Direkte Demokratie

Demokratie steht im Griechischen für Volksherrschaft, Abraham Lincoln verstand Demokratie als „government by the people“. Das Modell der direkten Demokratie setzt dieses Verständnis von Demokratie, in der politische Macht unmittelbar vom Volk (d.h., den abstimmungsberechtigten Bürger*innen) ausgeübt wird, am ehesten um. In der heutigen Realität tritt direkte Demokratie jedoch nicht als politisches Modell für einen Staat in Erscheinung, sondern Instrumente der direkten Demokratie werden ergänzend zur vorherrschenden repräsentativen Demokratie als politische Entscheidungsverfahren angewendet.  Bürger*innen können kraft direktdemokratischer Instrumente unmittelbar über politische Sachfragen abstimmen. In Österreich sind dies Volksabstimmung (obligatorisches bzw. fakultatives Referendum), Volksbefragung (konsultatives Referendum) und Volksbegehren (auch Initiativverfahren). Bei den ersten beiden direktdemokratischen Instrumenten können die Bürger*innen über eine Gesetzesvorlage/Initiative direkt abstimmen, mit Hilfe des Volksbegehrens können Bürger*innen und Interessengruppen hingegen selbst eine Vorlage zur Behandlung im Parlament einreichen (siehe Themenmodul Direkte Demokratie in Österreich). Mit Ähnlichkeit zur partizipatorischen Demokratie bindet direkte Demokratie Bürger*innen in politische Entscheidungsprozesse ein. Während jedoch die partizipatorische Demokratie die Beteiligung möglichst Vieler in möglichst vielen Entscheidungs- und Willensbildungsbereichen und eine Ausweitung des demokratischen Prinzips fordert, geht es bei der direkten Demokratie in erster Linie allein um das Abstimmen in Sachfragen. Direkte Demokratie verwendet in dieser Hinsicht, im Gegensatz zur partizipatorischen, somit eher eine enge Demokratiekonzeption, da Demokratie hier größtenteils auf den politischen Entscheidungsprozess beschränkt wird.

Stärken und Schwächen des direktdemokratischen Modells

Instrumente der direkten Demokratie werden oft als „Heilmittel“ gegen Politikverdrossenheit und Unmut der Bevölkerung bei unpopulären Entscheidungen der Regierung gesehen. Sie kann vor allem mit Hilfe des Internets zu einer verstärkten Beteiligung führen und das Interesse und Wissen der Bürger*innen über Politik erhöhen (E-Democracy).
Gleichzeitig warnen Kritiker*innen vor einem Missbrauch der direktdemokratischen Instrumente. So besteht die Gefahr, dass das Instrument von politischen Demagog*innen zur Durchsetzung egoistischer Sonderinteressen oder Ausgrenzung von Minderheiten benutzt werden könnte. Während in der repräsentativen Demokratie Politiker*innen zur Rechenschaft gezogen und von den Wähler*innen durch Abwahl sanktioniert werden können, fehlt diese Kontrollfunktion bei plebiszitären Initiativen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Im Gegensatz zur deliberativen Demokratie, in der sich die Präferenzen der Bürger*innen innerhalb des Austauschs von Informationen und Argumenten entwickeln, setzt die direkte Demokratie von Beginn voraus, dass Bürger*innen klare Präferenzen zu den meisten Streitfragen haben. Dadurch wird der Teil der Gesellschaft benachteiligt, der weniger formal gebildet und informiert ist und eine Gefahr der Manipulation durch Demagog*innen erhöht. Eine Aufwertung direktdemokratischer Elemente bedeutet gleichzeitig eine Schwächung von Parlamenten und Regierungen, so dass vor allem seitens der Verfassungsjurist*innen und Parlamentarier*innen der Kritikpunkt fällt, dass zu viel direkte Demokratie die Macht der Parlamente als letzte Entscheidungsinstanz bei der Willensbildung aushöhlen könnte.
Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile von direkter Demokratie muss immer noch der jeweilige Kontext beachtet werden. So besteht die Gefahr des Missbrauchs in ohnehin schon defekten Demokratien, während in einer funktionierenden Demokratie direktdemokratische Elemente ein ernst zu nehmendes Korrektiv sein kann, das zu einer aufgeklärteren und zufriedeneren Bevölkerung führen kann (vgl. Kaufmann 2011: 2).