Konkurrenz- und Konkordanzdemokratie

Konkordanzdemokratie als europäische Alternative zur Konkurrenz- und Mehrheitsdemokratie

In repräsentativen, pluralistischen Demokratiesystemen gibt es unterschiedliche Arten der Entscheidungsfindung, mittels derer das Gemeinwohl der Gesellschaft erreicht werden soll. Zwei dieser Modelle stellen die Konkurrenzdemokratie (auch: Wettbewerbsdemokratie) und die Konkordanzdemokratie (auch: Proporz-, Verhandlungs- oder Konsensdemokratie) dar.

Lange Zeit wurde die in den angloamerikanischen Ländern vorherrschende Konkurrenzdemokratie (Wettbewerbsdemokratie) als überlegene Form der Demokratie gesehen. Kennzeichnend für sie ist, dass sich üblicherweise zwei große Parteien (-gruppen) gegenüberstehen und Konflikte über einfache politische Mehrheiten gelöst werden, wodurch der Parteienwettbewerb um Wähler*innenstimmen angefacht wird (vgl. Lexikon der Bundeszentrale für Politische Bildung, 2021). Sowohl das Zweiparteiensystem als auch das Mehrheitswahlsystem galten als Quelle politischer Stabilität, nicht zuletzt da in Ländern mit diesem System (Großbritannien, USA, Neuseeland) die Demokratie die Zwischenkriegszeit überlebte und nicht wie die Demokratien Europas, ohne vergleichbares System, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nacheinander zusammenbrachen (z.B. Italien, Deutschland, Österreich) (vgl. Schmidt 2019).

Als positive Merkmale der Konkurrenzdemokratie zu nennen sind sowohl ihre Stabilität und Überlebensfähigkeit als auch die Möglichkeit zügiger Regierungsbildung, sowie die Umsetzbarkeit von Kollektiventscheidungen. Demgegenüber stehen allerdings auch einige Nachteile. So lässt sich kritisieren, dass die Mehrheit über großen Spielraum verfügt, welcher zwar im Sinne des Gemeinwohls, aber auch für die eigenen Zwecke genutzt werden kann. Da die Politik in diesem System auf Wettbewerb und Konkurrenz basiert, ist sie nicht darauf ausgelegt, die Verlierer*innen der Wahl miteinzubeziehen. Für gespaltene Gesellschaften stellt die Konkurrenzdemokratie daher kein sinnvolles Modell dar, da sie in diesen die Spaltung lediglich verschärfen würde (vgl. Schmidt 2019).

Ein Gegenmodell zu Konkurrenzdemokratie bildet die Konkordanzdemokratie (Proporz-, Verhandlungs- oder Konsensdemokratie). Entwickelt hat sie sich vor allem in instabilen kontinentaleuropäischen Demokratien, welche durch ein zersplittertes Parteiensystem und eine in verfeindete weltanschauliche Lager gespaltene Gesellschaft geprägt waren (z.B. Schweiz, Niederlande, Österreich) (vgl. Schmidt, 2019).

Während Streitfragen in der Konkurrenzdemokratie überwiegend auf Basis des Wettbewerbs und Mehrheitsrechts entschieden werden, werden in der Konkordanzdemokratie Konflikte im „gütlichen Einvernehmen“ durch Kompromisse und Interessensausgleich geschlichtet. Zentral ist hier also nicht das Erreichen einer Mehrheit, sondern die Einbindung verschiedener Akteur*innen in Form von Parteien, Interessensgruppen und Minderheiten. Zu diesem Zweck kommen verschiedene Vermittlungstechniken und Kompromissverfahren zum Einsatz, um dadurch eine möglichst breite Übereinstimmung zu erzielen (vgl. Lexikon der Bundeszentrale für Politische Bildung, 2021)

Die Schlüsselelemente der Konkordanzdemokratie sind Machtteilung und gemeinschaftliche Willensbildung, Autonomie beteiligter Gruppen, Proportionalität/Verhältnismäßigkeit und politische Repräsentation, sowie gesicherte Vetorechte der Mitglieder (vgl. Lijphart, 2008). Daraus ergeben sich auch ihre Vorzüge, zu denen vor allem die Wahrung von Autonomie, sowie Minderheitenschutz zählen. Auch zu nennen ist hier, dass Entscheidungen, bei denen es nur Sieg oder Niederlagen gibt (Nullsummenspiel) vermieden werden, da Kooperation und Kompromisse im Fokus stehen. Die Konkordanzdemokratie wird vor allem wegen ihrer gesellschaftspolitisch integrativen Funktion gelobt, mit deren Hilfe tief verwurzelte Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen in der Regel besser geschlichtet werden können als in der Konkurrenzdemokratie, die zu mehr gesellschaftlicher Polarisierung beiträgt. Zu den Nachteilen der Konkordanzdemokratie zählen die hohen Entscheidungskosten, insbesondere der hohe Zeitaufwand für Verhandlungen, die bei der Konsensbildung aufgrund der hohen Mehrheitsschwellen oder des Einstimmigkeitsprinzips anfallen. Aufgrund dieser Struktur ist es in der Kooperationsdemokratie schwer schnelle Anpassungen und Kurswechsel oder Innovationen in kurzer Zeit umzusetzen. Während in der Konkurrenzdemokratie die Mehrheit ihre Macht ausnutzen kann, so hat in der Konkordanzdemokratie die Minderheit das wirksame Mittel, Entscheidungen zu blockieren. Somit kann es dazu kommen, dass nicht kooperationswillige Gruppen Entscheidungsprozesse verhindern. Durch einen im Vergleich zur Konkurrenzdemokratie schwachen Wettbewerb birgt die Konkordanzdemokratie ein Risiko der Depolitisierung auf der einen Seite und der Verstärkung von linker und rechter Opposition auf der anderen. Hinzu kommt außerdem, dass Verhandlungen potentiell von Eliten dominiert werden und hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Konkordanzdemokratie weißt also auch eine gewisse Anfälligkeit für Korruption auf (vgl. Schmidt 2019).

Konkordanzdemokratien in Europa und Österreich

Konkordanzdemokratien bildeten sich größtenteils in kleineren kontinentaleuropäischen Ländern mit einer lange Zeit tief zerklüfteten Gesellschaft (v.a. Schweiz, Niederlande, Österreich und Belgien). Jedoch entwickelten sich auch diese in den letzten Jahrzehnten schrittweise zu Konkurrenzdemokratien, so dass es größtenteils Mischformen mit sowohl Elementen der Konkurrenz- als auch Konkordanzdemokratie gibt. Im frühen 21. Jahrhundert können nur noch die Schweiz und Luxemburg als dominant konkordanzdemokratische Staatsformen bezeichnet werden. Österreich wird als eine „Mischform mit starker konkordanzdemokratischer Tradition“ eingeordnet (vgl. Schmidt 2010: 310).

In der Zeit von 1945-1999 dominierte in Österreich eine Konkordanzdemokratie, die vor allem auf den Erfahrungen der Ersten Republik beruht. So knüpft sie an die 1920 entstandene Bundesverfassung an. Diese entstand durch Zusammenarbeit verschiedener politischer Kräfte, die sich im Zuge der sozio-ökonomischen Veränderungen des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten: die Christlich-Sozialen, Sozialdemokraten und Deutschnationalen. Auf eine kurze Periode der Integration der Lager von zwei Jahren folgte allerdings die Abschottung und Stärkung der jeweiligen Lager nach innen. Durch Bewaffnung des sozialistischen und des christlich-konservativen Lagers wurde dem Staat das Gewaltmonopol entzogen und die Republik wurde geschwächt. Der hohe Gewaltpegel gipfelte 1934 schließlich in einem mehrtägigen Bürgerkrieg (vgl. Naßmacher 2010). Nach der NS-Diktatur knüpften die staatsgründenden Parteien (ÖVP, SPÖ, KPÖ) bei der Verfassung an die Erste Republik an. Die Österreichische Bundes- und Länderpolitik wurde fortan überwiegend durch überparteilichen Konsens geprägt, insbesondere zu Zeiten der Großen Koalitionen zwischen ÖVP und SPÖ (1947-1966 und 1987-2000 sowie 2007-2016). Die auf Konsens ausgerichtete Politik war ein Ergebnis der externen Rahmenbedingungen, mit denen Österreich infolge des Wiederaufbaus, der Erlangung seiner Souveränität und in den 1990er Jahren im Rahmen des EU-Beitritts konfrontiert wurde. Mit einer konkordanzdemokratischen Politik sollte in der nach 1945 tief gespalteten Gesellschaft ein (demokratischer) Grundkonsens hergestellt werden. Das Jahr 2000 bedeutete mit dem Zustandekommen der schwarz-blauen Koalition zwischen ÖVP und FPÖ einen temporären Bruch mit der langen Tradition der Konkordanzdemokratie in Österreich und eine bewusste Hinwendung zu einer Konkurrenzdemokratie. Konkordanzdemokratische Praktiken herrschen weiterhin vor allem auf der Länderebene (vgl. Naßmacher 2010).